Warum Dienste wie „WhatsApp“ Lehrer zu Kommunikations-Sklaven der Schüler machen

Der Satz „Wir müssen die Schüler  dort abholen, wo sie stehen“ gehört zum Arsenal pädagogischer Binsenweisheiten auf „Brigitte-Eltern“-Niveau. Das gilt schon deshalb, weil man niemanden dort abholen kann, wo er/sie nicht steht.

Gerade dann, wenn es um den Einsatz und die Nutzung digitaler Medien geht, dient er als Standard-Floskel, mit der man zu begründen trachtet, warum der gerade bei Jugendlichen aktuelle Kommunikationskanal auch für schulische Zwecke genutzt werden muss. Da die Schüler dem lehrergetränkten Facebook mehr und mehr den Rücken kehren, will man sie nun bei WhatsApp in Empfang nehmen. Die entsprechende Variante der Abhol-Floskel lautet daher momentan:
„Wir müssen WhatsApp zur schulischen Kommunikation nutzen, um die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie stehen, wir haben sonst keine Chance mehr, sie zu erreichen.“
Jedoch:

Die Rede davon, dass man Schüler dort abholen müsse, wo sie stehen, um sie dann an ein bestimmtes Ziel zu führen, ist nicht ganz unproblematisch. Denn sie erinnert zum einen an den Sklaven, der in Griechenland die Knaben von zu Hause abholte, sie ins Gymnasium und wieder zurück führte und den man aus Hinweisen auf die Etymologie des Wortes „Pädagoge“ bestens kennt. Und es darf bezweifelt werden, ob sich die Lehrerrolle noch nach diesem antiken Denkmodell verstehen lässt, denn schließlich geht allüberall die Rede davon, dass sich Schüler selbst Ziele setzen sollen, selbst Wege finden sollen, diese Ziele zu erreichen, und dass der Lehrer kein aufpasserischer Knabenführer, sondern idealerweise ein temporärer Wegbegleiter sein solle.

Doch nicht nur die ideologischen Tiefenschichten des „Abhol-Modells“ bekommen bei näherer Betrachtung  einen pädagogischen Hautgout. Auch die Anwendung des Modells auf digitale Medien hat einen faden Beigeschmack: Denn wenn mit dem Argument, dass man Schüler dort abholen müsse, wo sie stehen, immer wieder der neusten App und der hippsten Plattform nachgejagt wird, macht man sich letztlich ohne Not zum Sklaven der Kommunikationsgewohnheiten der Schüler. Den Schülern wird nicht mal mehr ansatzweise zugemutet, auch kommunikative Wege zu beschreiten, die auf den ersten Blick unbequem erscheinen, sondern sie werden ganz selbstverständlich dort abgeholt, wo sie sich befinden und bereits sicher und problemlos bewegen können (z.B. bei WhatsApp) . Und diese Form der sklavisch-kommunikativen Anbiederung aus falsch verstandenem Lebensweltbezug nützt letztlich weder den Schülern noch den Lehrern.

3 Gedanken zu “Warum Dienste wie „WhatsApp“ Lehrer zu Kommunikations-Sklaven der Schüler machen

  1. Du entwickelst hier eine interessante Sichtweise, die ich zum Anlass nehmen werde, mein eigenes Kommunikationsverhalten zu reflektieren. Ich möchte allerdings zwei kritische Anmerkungen machen.
    Erstens scheint es mir für ein zeitgemäßes Verständnis meiner Lehrerrolle wichtig zu sein, die von meinen Schüler*innen gewählten Kommunikationskanäle zu respektieren. Wenn ich hier die Vorgaben mache, zementiere ich doch auch ein von mir nicht mehr gewünschtes Rollenbild der Lehrperson als Alleinherrscher im Unterricht.
    Zweitens möchte ich in der Kommunikation mit meinen Schüler*innen leicht erreichbar sein, um bei pädagogischen Problemen „nah dran“ zu sein.
    Es ist mir außerdem durchaus schon gelungen, die Schüler*innen bei Whatsapp abzuholen und zu Threema zu begleiten, um das von dir gewählte Bild zu bedienen.

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