Notwendige Neologismen: „Palliative Technik“

Palliative Technik, die:

Zusammenfassende Bezeichnung für technische Maßnahmen (Tools, Apps, Whiteboards etc.), die nicht das Ziel verfolgen, das Schulsystem im Zeichen der Digitalisierung grundlegend zu verändern (bzw. zu „heilen“), sondern lediglich dazu beitragen, dass die Schüler(innen) im traditionellen (bzw. als „krank“ empfundenen) System bestmöglich angepasst sind.

In einer schwächeren Lesart stützt sich der Begriff auf die Bedeutung des lateinischen Verbs „palliare“, das „ummanteln“ meint. Palliative Technik ist dann digitale Technik, mit der Analoges nur ummantelt, nicht aber grundlegend verändert wird.

Das KMK-Strategiepapiers „Bildung in der digitalen Welt“ illustriert dieses Prinzip (unfreiwillig) auf dem Titelblatt:

Das digitale iPad ummantelt hier lediglich den analogen Tafelanschrieb.

(vgl. auch palliative Didaktik)

Eine vor diesem begrifflichen Hintergrund sehr treffende Beschreibung des siechen Bildungssystems stammt von Christoph Schmitt, der u.a. im Kontext der Initiative Intrinsic Campus über innovative Formen des Lehrens und Lernens nachdenkt. Schmitts Diagnose lautet:

Das Bildungssystem ist als Gesamtorganismus hirntot. Mit der Betonung auf „Hirn“. Seine Mitarbeitenden und KlientInnen merken das allein deshalb nicht, weil alle Lebensfunktionen dieses Systems von Maschinen am Leben erhalten werden. Künstlich ernährt durch sinnlos verbrannte Steuergelder. Als Herz-Lungen-Maschine fungiert ein absurdes Zertifizierungswesen. Wenn wir den Stecker ziehen, ist der Patient innerhalb kürzester Zeit mausetot. Da sitzen wir lieber alle betrübt ums Bett, lauschen den Dia- und Prognosen der Experten, die durch dieses Setting ihr eigenes System finanzieren – und hoffen auf ein Wunder.

(Quelle)

(An dieser Stelle ein großer Dank an Philippe Wampfler, durch den ich auf das Zitat aufmerksam wurde.)

6 Gedanken zu “Notwendige Neologismen: „Palliative Technik“

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  4. Guten Tag,
    eine Abgrenzung zum Begriff der „Palliativen Pädagogik“ tut Not, wegen möglicher Mißverständnisse. Im Bildungswesen gibt es eine kleine Gruppe von Schüler*innen, ca. 18 000 (Friedrichsdorf, 2005), die lebensbedrohliche oder lebensverkürzende Krankheiten haben. Eine Begleitung der betroffenen Personen, Eltern und Angehöriger sowie der Lehrpersonen ist bedeutsam in den verschiedenen Phasen. Deshalb haben zum einen sehr viele Schulen, an welchen diese Schüler*innen unterrrichtet werden, das Thema „Palliative Care“ in die Schulkonzepte implementiert (u.a. mit Trauergärten etc.) und zum Anderen spielt das Thema seit über 40 Jahren eine Rolle in der Lehrer*innenbildung.
    viele Grüße
    Igor Krstoski

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