Zeitgemäße Prüfungsformate für den Distanzunterricht (am Beispiel des Faches Deutsch in NRW)

Von Ricarda Dreier, Axel Krommer, Björn Nölte und Oliver Schmitz

(Update vom 19.08.2020: Eine wesentlich erweiterte Fassung dieses Textes, in die Feedback von Kolleginnen und Kollegen eingegangen ist, ist hier zu finden.)

Der folgende Text ist ein Beitrag zur Diskussion über Prüfungsformate, die auch im Distanzunterricht funktionieren. Er bezieht sich zum Teil sehr explizit auf die schulrechtlichen Grundlagen in NRW, richtet sich jedoch prinzipiell an alle, die über zeitgemäßes Lernen und Lehren nachdenken. 

Das Problem

Nach den Sommerferien 2020 wird Distanzlernen in NRW zu Distanzunterricht.

Was auf den ersten Blick wie eine unbedeutende begriffliche Korrektur aussehen könnte, hat gravierende Konsequenzen: Denn durch die „Zweite Verordnung zur befristeten Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen gemäß §52 SchulG“ werden Präsenz- und Distanzunterricht zu gleichwertigen Unterrichtsformen erklärt. „Gleichwertig“ bedeutet z.B., dass sich die Schulpflicht auch auf den Distanzunterricht erstreckt und dass Leistungen, die dort erbracht werden, in die Bewertung eingehen müssen. 

Diese Gleichwertigkeit endet jedoch im Bereich der (schriftlichen) Leistungsüberprüfungen. Denn in der gerade erschienenen Handreichung zur lernförderlichen Verknüpfung von Distanz- und Präsenzunterricht heißt es sehr deutlich:

„Klassenarbeiten und Prüfungen finden in der Regel im Rahmen des Präsenzunterrichts statt.“ (Handreichung 2020)

Die Corona-Krise mag dazu beigetragen haben, bislang Selbstverständliches zu hinterfragen, innovative Perspektiven zu eröffnen und Schulentwicklungsprozesse voranzutreiben. Im Hinblick auf die institutionell verankerten Beharrungstendenzen des Prüfungswesens erweist sie sich jedoch als ziemlich unwirksam: Prüfungen sollen weiterhin unter strenger Aufsicht, in Einzelarbeit, handschriftlich, offline und weitgehend ohne Hilfsmittel geschrieben werden. Punkt.

Für diese Form der Prüfung, die oft als alternativlos gilt, bietet der Präsenzunterricht den traditionellen Rahmen, in dem die notwendigen Kontrollmaßnahmen besonders gut zu realisieren sind (vgl. hierzu Lauer/Demantowsky 2020). 

Wenn man versucht, die präsentischen Kontrollstrukturen 1:1 auf den Distanzunterricht zu übertragen, entstehen beängstigende Szenarien, die man momentan an den Hochschulen beobachten kann, wo Studierende durch Proctoring-Dienste wie Examity während der Prüfung per Webcam, Mikro, Tastaturabfrage etc. vollständig überwacht werden (vgl. hierzu Chin 2020). Schon um solche Dystopien zu verhindern, müssen Ideen entwickelt werden, wie man Klassenarbeiten und Prüfungen im Distanzunterricht schreiben (lassen) kann. 

Unter Corona-Bedingungen, d.h. wenn vor Ort nur unter verschärften Hygienebedingungen und mit erhöhtem Raum- und Personalbedarf gearbeitet werden kann, sind Klassenarbeiten im Distanzunterricht zudem mit erheblichen organisatorischen Erleichterungen verbunden (vgl. Schmitz 2020).

Zentral ist jedoch die Einsicht, dass zeitgemäße Formen der (schriftlichen) Leistungsüberprüfung entwickelt werden müssen, um überkommene Prüfungsformate als eine „zentrale Hürde bei der Verbesserung von schulischen Lernkulturen” (Wampfler 2020) zu überwinden. Das kann nur gelingen, wenn die folgenden Fragen überzeugend beantwortet werden:

Wie genau sollen Prüfungen aussehen, die im Distanzunterricht geschrieben werden können? Wie stellt man die Eigenständigkeit der erbrachten Leistungen sicher? Wie unterbindet man Betrugsversuche, wenn die aus der Präsenz bekannten Formen der Kontrolle nicht mehr greifen? Wie vermeidet man soziale Ungerechtigkeiten, die daher rühren, dass einige Schülerinnen und Schüler zu Hause – personelle oder technische – Hilfen in Anspruch nehmen können, die anderen nicht zur Verfügung stehen? Wie geht man mit denen um, die zu Hause keine hinreichende technische Ausstattung besitzen oder nicht einmal einen ruhigen Platz zum Lernen haben? etc.

Um zumindest auf einige dieser Fragen erste Antworten zu liefern, sollen im Folgenden drei Strategien skizziert werden, die helfen können, zeitgemäße Prüfungsformate für den Distanzunterricht zu konzipieren.

Lösungsstrategien

Die Entwicklung zeitgemäßer Prüfungsformate für den Distanzunterricht setzt voraus, über das Verhältnis von Kontrolle und Vertrauen neu nachzudenken. Lars Mecklenburg hat das prägnant formuliert:

„Der Notfallfernunterricht begrenzt die Möglichkeiten zur Kontrolle seitens der Lehrer:innen. Dadurch entsteht ein Leerraum, den man sinnvoll als Freiraum nutzen könnte. Ihn den Schüler:innen vertrauensvoll in die Hände zu legen, könnte über die Notsituation hinaus Wege öffnen.“ (Mecklenburg 2020)

Den Lackmustest zeitgemäßer Bildung bestehen Prüfungsformate nur dann, wenn sie den Schwerpunkt nicht mehr auf Kontrolle und Überwachung, sondern auf Vertrauen und  Verantwortung legen. Dieser Paradigmenwechsel wird nicht einfach sein, denn alle Beteiligten sind im Rahmen eines Schulsystems sozialisiert worden, das Prüfungen ganz selbstverständlich an Präsenz und Kontrolle knüpft.

Als Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Formate können die wenigen Ausnahmen dienen, die sich (de jure) jetzt schon bieten: 

In der Sekundarstufe I kann beispielsweise pro „Schuljahr eine Klassenarbeit durch eine andere, in der Regel schriftliche, in Ausnahmefällen auch gleichwertige nicht schriftliche Leistungsüberprüfung ersetzt werden.“ (§6 Abs. 8 APO-SI) In der Handreichung zur lernförderlichen Verknüpfung von Präsenz- und Distanzunterricht heißt es in diesem Zusammenhang:

„Die Fachkonferenzen können fachbezogene, zu den Klassenarbeiten alternative Formen der Leistungsüberprüfung entwickeln, die sowohl im Präsenz- als auch im Distanzunterricht genutzt werden können. Als alternative Formen bieten sich beispielsweise Portfolios, aufgabenbezogene schriftliche Ausarbeitungen, mediale Produkte (ggf. mit schriftlicher Erläuterung) sowie Projektarbeiten an.“ (Abschnitt 3.5)

Aus diesen Vorschlägen für alternative Prüfungen wird deutlich, dass die Entwicklung zeitgemäßer Formate nicht nur eine punktuelle Veränderung der konkreten Prüfungssituation bedeutet, sondern die Planung einer kompletten Unterrichtssequenz betrifft (vgl. hierzu auch die QUA-LiS-Unterstützungsangebote). Nur dann, wenn u.a. auf selbstgesteuerte Lernprozesse, Medienkompetenz, Kommunikation, Kooperation sowie die kritische Reflexion eigener (und anderer) Lernprodukte gesetzt wird, lassen sich z.B. auf der Grundlage von (E-)Portfolios oder Projektarbeit auch neue Prüfungsformen nutzen. All dies muss mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam sorgfältig vorbereitet und eingeübt werden.

Im Folgenden werden drei Strategien skizziert, wie man zeitgemäße Prüfungsformate entwickeln kann, die auch im Distanzunterricht umsetzbar sind.

Um die Selbst- und Eigenständigkeit der Prüfungsleistungen zu gewährleisten, die nicht unter Aufsicht entstanden sind, wird in Strategie 1 und 2 ein direkter Bezug zum individuellen bzw. gemeinsamen Lernprozess hergestellt. Die Idee dahinter: Die Schülerinnen und Schüler kennen sich in ihrem Lernprozess am besten aus. Die Einarbeitung einer helfenden Person wäre deutlich aufwendiger als das selbstständige Erfüllen der Aufgaben. Strategie 3 befördert die Eigenständigkeit dadurch, dass die Leistungsüberprüfung durch Peer- und vor allem Lehrer:innen-Feedback bereits im vorausgehenden Lernprozess vorbereitet wird. Da die Aufgaben bereits weit vor der eigentlichen Leistungsüberprüfung bekannt sind, besteht kein Bedarf für eine Täuschungshandlung während der Prüfung. 

Sollten dennoch Zweifel an der Eigenständigkeit einer Leistung aufkommen, weil z.B. in der Prüfung der individuelle Stil der Schülerin oder des Schülers nicht hinreichend erkennbar ist, genügt in der Regel ein kurzes persönliches Gespräch, um sich Klarheit zu verschaffen. Diese einfache Form der (Rest-)Kontrolle könnte man als „Dopingprobe“ transparent in das Konzept integrieren: Nach jeder Prüfung werden dann zufällig einige Schülerinnen und Schüler ausgewählt, die ihre Ergebnisse mündlich erläutern sollen.

Strategie 1: Die Leistungsüberprüfung verarbeitet den Lernprozess

Im vorbereitenden Unterricht erarbeiten die Lernenden mit Hilfe digitaler Medien und Tools (kollaborativ) digitale Lernergebnisse. Es entstehen so zum Beispiel: kuratierte Linklisten, digitale Diskussionen, Peer- und Lehrer:innen-Feedback, Leseprotokolle, Analysen und Diskussionen von Texten, Visualisierungen, Präsentationen, Filme. Diese Lernergebnisse können am besten in einem (E-)Portfolio gesammelt werden.

Die Leistungsüberprüfung nimmt dann konkret und ausgewiesen Bezug auf diese Ergebnisse. Ideal hierfür sind natürlich die Aufgabenart IV (SII) bzw. Aufgabentyp 2 (SI), aber auch alle andere Aufgabentypen sind denkbar. Wie immer können Lehrerinnen und Lehrer hier zwischen Obligatorik und Freiheit variieren. Medien, Arbeitsergebnisse und Feedback, auf die Bezug genommen werden soll, können vorgegeben oder von den Schülerinnen und Schülern ausgewählt werden.

Beispiele

  • Sekundarstufe I, Aufgabentyp 2 (Informierendes Schreiben)

Unterrichtsvorhaben: Alles in Bewegung – Vorgänge beschreiben (Klasse 6)

Aufgabe nach der im Unterricht erstellten Skizze oder dem Bau einer Rube-Goldberg-Maschine: Beschreibe, wie Deine Rube-Goldberg-Maschine funktioniert. Gib Deinen Text zusammen mit einer Skizze / einem Foto / einem Film Deiner Maschine ab im LMS / per E-Mail ab.

  • Sekundarstufe I, Aufgabentyp 5 (Überarbeitendes Schreiben)

Unterrichtsvorhaben: Schildern (Klasse 7)

Aufgabe nach der Anfertigung einer Schilderung im vorbereitenden Unterricht: 

  1. Lies noch einmal das Kompetenzraster „Schilderung“. Wähle die Kriterien aus, die Du verbessern willst und kennzeichne sie im Kompetenzraster.
  2. Überarbeite danach Deine Schilderung. 
  3. Markiere die überarbeiteten Stellen im Text und erkläre Deine Überarbeitung.
  4. Gib zum Schluss das bearbeitete Kompetenzraster, beide Versionen Deiner Schilderung und Deine Erklärung im LMS / per E-Mail ab.
  • Sekundarstufe II, Aufgabenart I (Typ A oder B)

Unterrichtsvorhaben: Lyrische Texte zu einem Themenbereich aus unterschiedlichen historischen Kontexten: „unterwegs sein“ – Lyrik von der Romantik bis zur Gegenwart (Grundkurs)

Aufgabe nach der Erstellung eines E-Portfolios (Inhalt: eigene Gedichtauswahl aus verschiedenen Epochen mit einem selbstgewählten Schwerpunkt (Inhalt, Stil, oder Motiv), verschiedene Materialien zu den Gedichten und den Dichterinnen und Dichtern,  eigene Analyseansätze und Dokumentation der Rückmeldungen durch Peers oder Lehrende): 

Die Schülerinnen und Schüler bekommen für die Distanzprüfung drei Gedichte (a, b, c) aus verschiedenen Epochen zur Auswahl.

  1. Wähle ein Gedicht (a, b oder c) aus, das du mit einem Gedicht (d) aus deinem Portfolio vergleichen möchtest. Begründe deine Entscheidung.
  2. Vergleiche beide Gedichte miteinander im Hinblick auf die Bedeutung des Reisens. Nimm abschließend kurz Stellung zur Lebenseinstellung (Motivation etc.) des lyrischen Ichs.

(Wichtig ist, dass die Schülerinnen und Schüler bei der Bearbeitung der Aufgaben vielfältige Bezüge zu ihren Portfolios herstellen.)

  • Sekundarstufe II, Aufgabenart III (Erörterung)

Unterrichtsvorhaben: Information und Informationsdarbietung in verschiedenen Medien

Aufgabe zum Text von Bernd Graff, Die neuen Idiotae – Web 0.0 (Musteraufgabe Abitur NRW 2015): Erörtern Sie die Position des Autors zu Beteiligungsmöglichkeiten im „partizipativen Netz“. Nehmen Sie dabei Bezug auf

  1. mindestens zwei Kommentare zum selben Thema, die im Kurs mit hypothes.is berabeitet wurden
  2. mindestens zwei Beispiele der im Klausurtext beschriebenen Texte
  3. die in Kialo geführte Diskussion zum Thema.

Geben Sie zum Schluss Ihre Klausur, den bearbeiteten Klausurtext und alle Medien, die Sie benutzt haben, im LMS / per E-Mail ab.

  • Sekundarstufe II, Aufgabenart IV (Materialgestütztes Verfassen eines Textes mit fachspezifischem Bezug)

Unterrichtsvorhaben: Sprachvarietäten und ihre gesellschaftliche Bedeutung – Dialekte und Soziolekte

Aufgabe nach der Erstellung eines digitalen Portfolios zum Thema im Unterricht: 

  1. Wähle aus dem Portfolio 8 möglichst unterschiedliche Medien aus.
  2. Schreibe einen Leserbrief an die regionale Tageszeitung zum Thema „Förderung des Dialektlernens in der Schule“.

Strategie 2: Die Leistungsüberprüfung reflektiert den Lernprozess

Die Schülerinnen und Schüler erstellen (kollaborativ) im vorbereitenden Unterricht ein Produkt, das in der Leistungsüberprüfung reflektiert wird: Wie ist es zustande gekommen? Was sind Stärken? Schwächen? Wie war der Prozess? Learnings? etc. Hierfür eignen sich die reflektierenden Aufgabentypen 2 und 3 (SI) bzw. Aufgabenart III (SII). Diese Aufgaben müssten natürlich im vorausgehenden Unterricht ebenfalls eingeübt werden. Zur Bewertung von Reflexionsleistungen eignet sich der Ansatz der Reflexionsstufen von Nina Brendel.

Beispiele

  • Sekundarstufe I, Aufgabentyp 2 (Informierendes Schreiben)

Unterrichtsvorhaben: Werbung – Anzeigen und Filmspots untersuchen und gestalten (Klasse 8)

Aufgabe nach der Erstellung eines Klassenblogs im Unterricht zum Thema Werbung: 

  1. Beschreibe in einem informierenden Text, was Du durch die Erstellung unseres Klassenblogs über Werbung gelernt hast. 
  2. Was könnten wir tun, um unseren Blog erfolgreich zu bewerben?
  • Sekundarstufe II, Aufgabenart III (Erörterung)

Unterrichtsvorhaben: Verhältnis von Sprache, Denken und Wirklichkeit,  Aktualität der Sapir-Whorf-Hypothese

Aufgabe nach der Erstellung eines Erklärvideos zum Thema im vorbereitenden Unterricht: 

  1. Erörtern Sie die fachliche Qualität ihres Erklärvideos zur Sapir-Whorf-Hypothese.
  2. Nehmen Sie dabei sowohl konkret Bezug zu Ihrem Erklärvideo als auch zu Materialien aus dem Unterricht, die Sie entsprechend auswählen.
  3. Geben Sie zum Schluss die Erörterung, Ihr Erklärvideo und Ihre Zusammenstellung der Materialien im LMS / per E-Mail ab.

Strategie 3: Die Leistungsüberprüfung wird durch individuelles Feedback vorbereitet („Master-or-Die“)

Diese Strategie basiert auf dem Prinzip des formative assessment, das traditionelle Formen der Leistungsüberprüfung konterkariert: Anstatt lediglich am Ende einer Unterrichtseinheit einen Test, eine Klassenarbeit oder eine Klausur zu bewerten (=summative assessment), wird der gesamte Prozess durch vielfältige Formen des Feedbacks begleitet und unterstützt, um zielgerichtet Kompetenzen zu fördern und das Lernen systematisch zu verbessern („assessment FOR learning statt assessment OF learning“, vgl. Nölte 2020).

Die Methode „Master-or-Die“ (vgl. Nölte 2020) nutzt das formative assessment in kreativer und lernförderlicher Weise, um Schülerinnen und Schüler bei einer komplexen Aufgabe zu unterstützen, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Die Grundidee ist, dass Lernende während des gesamten Arbeitsprozesses jederzeit kriteriengeleitetes Feedback von Lehrenden und Peers einfordern können, das ihnen hilft, die erzielten Ergebnisse weiter zu verbessern. Das Feedback kann auch eine Zwischennote umfassen, die den aktuellen Stand der Arbeit bewertet. 

Jede Schülerin und jeder Schüler setzt sich vor dem Beginn der „Master-or-Die”-Phase ein gleichermaßen anspornendes wie realistisches Notenziel, das am Ende der Sequenz erreicht werden muss. Schülerin A kann z.B. eine „1“ anstreben, Schüler B eine „3+“. Gelingt es den Lernenden, ihre persönlichen Ziele zu erreichen, erhalten sie die angestrebte Note. Verfehlen sie dieses Ziel, wird die Leistung mit der Note „6” bewertet (daher: „master-or-die”).

Die Alternative der Note „6“ bewirkt eine spielerische Dramatik. In der Durchführung sollte es vor allem darauf ankommen, dass Lernende und Lehrende ein produktives Arbeitsbündnis eingehen – so dass die Note „6“ de facto nur ein Ausnahmefall bleibt.

Strategie 3 ist in der Sekundarstufe I ideal für den Aufgabentyp 4 (analysierendes Schreiben), aber auch für die Aufgabentypen 3 (argumentierendes Schreiben) sowie 5 (überarbeitendes Schreiben) geeignet.

In der Sekundarstufe II bieten sich die Aufgabenarten I (z.B. Analyse eines literarischen Textes) und II (z.B. Analyse eines Sachtextes) sowie III (z.B. Erörterung von Sachtexten) an.

 Ausblick

Die hier grob skizzierten Strategien zeigen, dass es durchaus Möglichkeiten zur Entwicklung zeitgemäßer Prüfungsformate (nicht nur) im Distanzunterricht gibt.

Es steht zu hoffen, dass ähnliche Ideen auch für andere Fächer entwickelt werden und dass die in den jeweiligen Fachdidaktiken bereits vorhandenen Potenziale genutzt werden.

In einem nächsten Schritt müssen die Fragen, die noch unbeantwortet geblieben sind, in den Blick genommen werden. Das Problem der Bildungsgerechtigkeit wird hier eine zentrale Bedeutung besitzen.

Wir hoffen, dass sich möglichst viele Kolleginnen und Kollegen an den damit zusammenhängenden Diskussionen beteiligen werden.

12 Gedanken zu “Zeitgemäße Prüfungsformate für den Distanzunterricht (am Beispiel des Faches Deutsch in NRW)

  1. Pingback: Transformation analog - digital: Didaktik - Schule in der digitalen Welt

  2. Danke Axel für diese Ideen. Sie helfen mir sehr bei der Vorbereitung einer anstehenden Fortbildung. Das System Schule funktioniert leider aber größtenteils nicht sachlich. Daher ist die rein didaktische Perspektive m.E. zumindest unterkomplex, gerade vor dem Hintergrund immenser Unsicherheiten im System.

    Alle Ideen sind z.B. bisher rechtlich / formal ungedeckte Schecks – von BL zu BL etwas unterschiedlich stark ausgesprägt. Jedes dieser Prüfungsformate kann leicht formal demontiert werden – dazu braucht es nicht einmal eine Rechtsbeistand. Das ist in FoBis im ein großes Thema – auch für SL, die jahrzehntelang hierarchisch durch die Schulbehörden „angeleitet“ wurde. Der rechtliche Rahmen muss daher politisch – zumindest temporär – erweitert/geöffnet werden. Das kann man sich zurzeit aber eher von der Backe kleben.

    Daher halte ich es zusätzlich für wichtig und auch eine große Chance, alternative Prüfungsformate vor Eltern und Schüler:innen transparent zu machen: Warum mache ich das? Was ist der Vorteil? Warum ist das gleichwertig, obwohl die „Vergleichbarkeit“ fehlt? Immerhin machen nicht alle dasselbe zur gleichen Zeit am gleichen Ort mit gleichen Mittel (dass sie es auch dort mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen tun, ist ein anderes Problem). Das setzt jedoch erhebliche personale und kommunikative Fähigkeit bei Lehrkräften voraus.

    • Danke für die kritische Rückmeldung. Du hast Recht: Die didaktische Perspektive reicht nicht. Strategie 1 und 2 sind zumindest in NRW und unter Corona-Bedingungen de jure aber zulässig. Und Strategie 3 ließe sich leicht anpassen.

      • Die Erlasslage ist eine Herausforderung. An den Curricula – die schon längst einiges ermöglichen – kann man hübsch zeigen, dass in der Fläche davon wenig adaptiert wird – weil sich dadurch die Struktur von Unterricht ändern muss. Freie Aufgabenformate vernünftig und lernförderlich einzusetzen, ist immens anspruchsvoll – u.a. weil es Mut braucht, die dabei auftretenden Unsicherheiten auszuhalten – und – weitaus schwieriger – Beliebigkeit zu vermeiden. Mit der bloßen Verschiebung von Verantwortung ist es – je nach Entwicklungsstand der SuS – oft nicht getan.
        Daher reagiere ich seit Jahren mit Blick auf Schule insgesamt relativ allergisch auf Zielformulierungen oder Beschreibungen – so wertvoll und unerlässlich sie für mich und Lehrkräfte sind, die bereits vorangehen. Die Position der Schieberegler – bzw. um im BIld zu bleiben – deren „Range“ hängt massiv von der personalen Kompetenzen der jeweiligen Lehrkraft ab.
        Mein Fokus ist die Fläche. Das was ich „vor Ort“ „brauche“, ist Prozesswissen, um günstige Voraussetzungen für Transformation schaffen zu können. Das ist m.E. nicht so einfach wie Impulse zu setzen. Wissenschaft versagt hier m.E. seit Jahren, weil sie meist noch nicht interdisziplinär „tickt“, sondern in Fachrichtungen – leider nach meiner Erfahrung weitaus schlimmer als Schule. In der Bewertung schwanke ich da zwischen „unauthentisch“ und „manchmal inspirierend“. Ich weiß nicht, wie man da rauskommen kann.

      • Die meisten fachdidaktischen Konzepte, die (nicht nur jetzt) dazu beitragen könnten, zeitgemäßen Unterricht zu machen, werden „in der Fläche“ gar nicht wahrgenommen. Dass die Wissenschaft versagt, wie Du behauptest, mag zum Teil stimmen. Es ist aber nicht das vollständige Bild. Und: Didaktik ist als Wissenschaft gleichsam per definitionem transdisziplinär. Aber vielleicht hattest Du bei Deiner Wissenschaftskritik die Fachdidaktik gar nicht gemeint.

  3. Pingback: Warum die digitale Transformation der Schule (nicht) gelingt - Gedanken aus der Schule

  4. Ich möchte gerne lernen, zeitgemäß zu prüfen und fand diesen Artikel sehr hilfreich – vielen Dank!
    Gerne würde ich eine Frage stellen, die auf ein anderes Fach zielt: Wie kann man im Fremdsprachenunterricht für Anfänger sinnvolle Distanzprüfungen machen? Tipps oder auch Links, Literaturhinweise?
    (Zum Hintergrund: Ich unterrichte an der Uni und das Prüfen wird dadurch erschwert, dass unsere Jahrgänge sehr groß sind. 150 Einreichungen händisch durchzusehen würde ich mir vielleicht drei Mal pro Semester antun, mehr aber wirklich nicht.)

    • Hallo – wäre es da nicht eine Idee, die Studis in Kleingruppen von 3-4 Personen Videos erstellen zu lassen? Das reduziert zum einen die reine Anzahl der Prüfungen und ermöglicht ganz klassisch auch ein anschließendes Prüfungsgespräch z.B. via Zoom. Auch viele andere der hier genannten Ideen lassen sich an der Uni umsetzen – das Sammeln von Ergebnissen, Zwischenfazit, Material, Kommentar usw. im Portfolio hat sich bei uns bewährt. Die Studis wählen am Ende drei aus ihrer Sicht besonders gelungene Einträge aus, begründen in einem kurzen Tat ihre Auswahl und das bildet dann die Notengrundlage.

  5. Vielen Dank, Herr Krommer!
    Wer (täglich) SuS mit dig. Medien unterrichtet und deshalb auch erweiterte didaktische Szenarien eröffnet, muss auch alternative Prüfungsformate entwickeln, nicht nur im Distanzunterricht. Da LuL oft im Hinblick auf Prüfungen unterrichten, sollten wir in diesem Bereich kreativ werden. Denn alles, was in den letzten 10 Jahren im Bereich „digitaler Schule“ erreicht wurde, kam „von unten“.

  6. Pingback: Dimensionen der Bildung. Oder: vom Flächenland der Buchkultur ins Raumland der Digitalität | Bildung unter Bedingungen der Digitalität

  7. Ihr Artikel kommt zur rechten Zeit und hat auch mir wertvolle Anregungen gegeben, wie ich die Leistungen meiner SuS auch im Distanzunterricht einfordern und auch bewerten kann. Besonders die Ideen zur Rube-Goldberg-Maschine gefallen mir.

    Zur beliebten Aufgabe, Leserbriefe zu fordern und zum Streben nach Alltagsbezug in Aufgabestellungen möchte ich aber einige allgemeine Überlegungen einbringen:
    Leserbriefe, die gedruckt werden, zeichnen sich nach meiner Beobachtung bis weit hinein in die Qualitätspresse durch knappe, oft zuspitzende, teilweise leicht bissige Tonalität und in der Regel vor allem
    Einseitigkeit aus. Soll dieses Format wirklich das unterrichtliche Ziel sein? Meines Erachtens geht hier der Wunsch nach einem Lebensweltbezug entweder
    a) auf Kosten einer differenzierten Darstellung, wenn man dem typischen Leserbriefformat gerecht werden will,
    oder
    b) auf Kosten eines realistischen Bildes von Leserbriefen, wenn man zur gründlich abwägenden Darstellung auffordert. Das führt den Lebensweltbezug aber ad absurdum, da man ein quasi fiktives Leserbriefformat erschafft.

    Könnte man hier nicht einfach die klassische Erörterung fordern, die zwar lebensweltlich kaum existiert, die in ihren Forderungen nach sachlicher Gegenüberstellung, Einbezug beider Seiten, stringenter Gedankenführung und logischer Gewichtung der Argumente einen Beitrag zur demokratischen Debattenkultur par excellence leistet? Und gilt es nicht gerade im Deutschunterricht gegen vorschnelles Schimpfen und Empören anzuarbeiten und so zur Verbesserung der Debattenkultur nicht zuletzt im Internet beizutragen?

    Meines Erachtens behindert hier der Bezug auf einen in der Lebenswirklichkeit vorkommenden Text wichtige übergeordnete intellektuelle Fähigkeiten und Kompetenzen wie das nüchtern abwägende Gegenüberstellen und Gewichten von Argumenten und das Suchen nach „Wahrheit“ im Faktendschungel. Denn während bei der klassischen Erörterung bis weit in den Schreibprozess hinein eine Offenheit für Argumente beider Seiten möglich ist, lädt der Leserbrief in der Regel zu einer schnellen Entscheidung für eine Position ein, die recht einseitig gestützt werden will.

    Natürlich erfüllt der Leserbrief eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Ich selbst lese Leserbriefe aufmerksam. Und selbstverständlich soll und kann nicht überall, wo ein knapper Leserbrief von den Lernenden eingefordert wird, eine ausführliche Erörterung erfolgen. Es lohnt sich aber, zu reflektieren, wann und mit welchem Ziel ich einen „Leserbrief“ verfassen lasse.
    Bezüglich eines höheren Lernzuwachses oder größerer Motivation von SuS durch den Einbezug real existierender Schreibformen in den Unterricht werden m.E. möglicherweise zu hohe Erwartung gehegt.
    Denn SuS durch den Einbezug von real existierenden Schreibformen glauben zu machen, das, was sie in der Schule verfassen, spiegele ihren Alltag, funktioniert nur bedingt. Gerade lebensweltliche Anbiederungen werden schnell durchschaut. Es ist bereits das institutionaliserte Lernen und die Interaktion mit einem Lehrer in dessen Rolle als (bewertender) Lehrkörper, die zur Trennung der eigenen Textproduktion von der Lebenswelt führen, selbst wenn sie denselben Namen trägt. Das halte ich übrigens nicht für besorgniserregend, da man gewonnene Erkenntnisse an die Lebenswelt anbinden kann (und soll), wie es z.B. durch das kritische Beleuchten von realen Leserbriefe möglich wäre. Wenn ich aber Leserbriefe u.ä. verlange, die es in der geforderten Form kaum gibt, erreiche ich den Zuwachs an argumentativer Kompetenz aber gerade nicht durch den Namen „Leserbrief“, sondern durch das Abweichen und das Aufstellen von schulischen Sonderregeln. Ehrlicher und zielführender wäre es, gleich eine Erörterung mit den entsprechenden Vorgaben zu fordern. Man kann (und sollte) dann immer noch schauen, wie sich reale Meinungsformate (Leserbriefe, Kommentare im Internet) von denen in der Schule geforderten unterscheiden und warum man etwas von dem, was man in der Schule anhand von Texten, die für Schule verfasst wurden, für das „wahre Leben“ und die dort zu verfassenden Texte lernen kann.

  8. Anonymus bin im Fall der Lesermeinung zum „Leserbrief“ vom 7.3.2021 übrigens ich, Alexander Pieper.
    Ich vergaß, meine Anmerkungen zu unterschreiben.

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