Lob der negativen Kritik

Wenn man sich in aktuellen Debatten ablehnend zu Vorschlägen aus dem Bereich der Bildung unter den Bedingungen der Digitalität (kurz: „digitale Bildung“) äußert, d.h. wenn man z.B. das Konzept des FlippedClassrooms, den Einsatz von Kahoot, H5P etc. kritisiert, trifft man immer häufiger auf das folgende argumentative Muster:

  1. Dem Kritiker wird vorgeworfen, er sei im Hinblick auf X (z.B. die Gestaltung einer Unterrichtsstunde mit digitalen Medien) lediglich destruktiv-ablehnend und habe selbst keine konstruktiv-weiterführenden Alternativen anzubieten.
  2. Aus (1) wird dann das Recht abgeleitet, die Kritik so lange zu ignorieren bzw. nicht ernst zu nehmen, bis der Kritiker selbst (zumindest theoretisch) gezeigt hat, wie X besser geht.
  3. Verschärft wird (2) häufig durch die Forderung, dass der Kritiker auch beweisen müsse, dass er X  (in der Unterrichtspraxis) besser könne als der Kritisierte.

Auf den ersten Blick mag dieses Reaktions-Schema zumindest dann seine Berechtigung haben, wenn man sich mit besserwisserischen Nörglern auseinandersetzt, die selbst keine guten Ideen haben.

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Notwendige Neologismen: „Palliative Didaktik“

Palliative Didaktik, die:

Zusammenfassende Bezeichnung für didaktische Maßnahmen, die nicht das Ziel verfolgen, das Schulsystem im Zeichen der Digitalisierung grundlegend zu verändern (bzw. zu „heilen“), sondern lediglich dazu beitragen, dass die Schüler(innen) im traditionellen (bzw. als „krank“ empfundenen) System bestmöglich angepasst sind.

Palliativ sind didaktische Maßnahmen häufig, wenn mithilfe digitaler Technik längst überkommene didaktische Prinzipien ummantelt (vom lat. „palliare“) werden.

Dass unter dem digitalen Mantel so mancher Lern-Tools in Wahrheit behavioristische Prinzipien versteckt sind, zeigt das folgende Video:

Wichtig ist, dass sich das Prinzip der Palliation auf die Institution Schule (als Teil der sozialen Ontologie) und nicht auf einzelne Schulen oder gar auf Lehrer(innen) bzw. Schüler(innen) bezieht.

Oder anders: Die Institution Schule ist der „Patient“, es sind nicht diejenigen, die in dieser Instituiton lehren bzw. lernen.

Gleichwohl haben palliative Maßnahmen, die sich auf das System richten, Auswirkungen auf den Alltag von Lehrer(innen) und Schüler(innen). Das lässt sich am Beispiel des Personalised Learnings kurz erläutern: Wenn durch Big Data, scheinbar intelligente Algorithmen und instant feedback (sensu Skinner) lediglich maschinelle Formen des Nürnberger Trichters installiert werden, verändert sich das Schulsystem nicht grundlegend.

Wenn die Korrektur von Schülertexten jedoch von Verstehens-Maschinen (wie Pearsons WriteToLearn) übernommen wird, erleichtert diese palliative Maßnahme für alle Beteiligten das schulische Leben.

(vgl. auch palliative Technik)


Nachtrag:

Anlässlich der Veranstaltung „One app fits all – Individuelle Förderung und personalisiertes Lernen im digitalen Wandel“ hatte ich die Gelegenheit, den Grundgedanken der palliativen Didaktik bzw. palliativen Technik etwas ausführlicher zu erläutern:

Notwendige Neologismen: „Palliative Technik“

Palliative Technik, die:

Zusammenfassende Bezeichnung für technische Maßnahmen (Tools, Apps, Whiteboards etc.), die nicht das Ziel verfolgen, das Schulsystem im Zeichen der Digitalisierung grundlegend zu verändern (bzw. zu „heilen“), sondern lediglich dazu beitragen, dass die Schüler(innen) im traditionellen (bzw. als „krank“ empfundenen) System bestmöglich angepasst sind.

In einer schwächeren Lesart stützt sich der Begriff auf die Bedeutung des lateinischen Verbs „palliare“, das „ummanteln“ meint. Palliative Technik ist dann digitale Technik, mit der Analoges nur ummantelt, nicht aber grundlegend verändert wird.

Das KMK-Strategiepapiers „Bildung in der digitalen Welt“ illustriert dieses Prinzip (unfreiwillig) auf dem Titelblatt:

Das digitale iPad ummantelt hier lediglich den analogen Tafelanschrieb.

(vgl. auch palliative Didaktik)

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Der Wii-Effekt

oder: Warum man Essays in der Schule nicht maschinell auswerten sollte

Jeder, der einmal mit der Wii-Spielekonsole Tennis gespielt hat, weiß es: Zu Beginn versucht man noch, mit der Fernbedienung in der Hand die „echten“ Tennis-Bewegungen nachzuahmen, doch rasch wird klar, dass manchmal nur ein kleiner Dreh mit dem Handgelenk nötig ist, um die Wii-glauben zu machen, man habe einen herrlichen Slice gespielt.

Kurz: Man lernt sehr schnell, dass nicht die „echten“ Tennisbewegungen, sondern die am Algorithmus orientierten „Wii-Bewegungen“ zum Erfolg führen. Und nach einiger Zeit haben die Bewegungen eines erfolgreichen Wii-Tennisspielers nur noch wenig mit den Bewegungen eines „echten“ Tennisspielers gemeinsam.

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Die Top Eight der Common-Sense-Fehlurteile über Medien

1. Medien sind neutrale Mittler, die Informationen von einem Sender zu einem Empfänger transportieren.

2. Neue Medien müssen in den Unterricht integriert werden, weil sie einen wichtigen Teil der Lebenswelt der Jugendlichen darstellen.

3. Medien sind lediglich Werkzeuge, deren Einsatz nur dann gerechtfertigt ist, wenn man damit unabhängig vom Medium festgelegte Unterrichtsziele erreichen kann.

4. Um einzusehen, dass neue Medien für Jugendliche gefährliche Auswirkungen haben, muss man diese Medien selbst nicht nutzen, denn man muss auch nicht selbst Drogen konsumieren, um festzustellen, dass Drogen für Jugendliche gefährlich sind.

5. Durch die Nutzung von Bildschirmmedien gehen wertvolle Primärerfahrungen verloren, die durch medial vermittelte Sekundärerfahrungen nicht angemessen ersetzt werden können.

6. Der Mehrwert digitaler Medien besteht im Unterricht darin, dass man die vorgegebenen Lernziele schneller, besser, leichter, nachhaltiger etc. erreichen kann.

7. Wir müssen uns an die Grundsätze „Pädagogik vor Technik“ bzw. „Didaktik vor Methodik“ halten.

8. Die heutige Gesellschaft ist durch eine historisch einmalige Informationsflut gekennzeichnet, die den Menschen permanent überfordert.

YouTube-Lehrer

Die coolen YouTube-Lehrer tragen – u.a. durch Formen palliativer Didaktik – maßgeblich dazu bei, dass das alte Schulsystem am Leben erhalten wird. Schlechter Frontalunterricht wird nun in Form von Flipped-Classroom-Videos konsumiert und wie man am besten durch das System kommt („Lernen ist ganz, ganz viel anpassen und Fleiß!) zeigen Videos wie dieses hier:

Das ist das Gegenteil der Bildungsrevolution, die mit solchen Formaten häufig verbunden wird.

Ostensiver statt reflexiver Einsatz von Technik

Ostensiver Einsatz von Technik:

In Schulen verbreiteter Einsatz zumeist digitaler Technik, der nicht in erster Linie didaktisch motiviert oder reflexiv begründet ist, sondern auf die mediale Außenwirkung gut sichtbarer Hardware setzt.

Besonders beliebt ist der ostensive Einsatz von Technik bei Schulleiter(inne)n, da ein Pressefoto von Schüler(inne)n vor einem Whiteboard oder in einem gut ausgestatteten Computerraum den Eltern visuell suggeriert, dass die jeweilige Schule modern und innovativ ist.

Kleine Argumentationshilfe wider die Internetskeptiker

Das Problem:

Wenn man wenig internetaffine Skeptiker darauf hinweist, dass man die Social Media nicht wirklich beurteilen kann, wenn man sie nicht aus eigener Erfahrung kennt, dann hört man häufig folgende Antwort:

„Ich muss auch keine eigenen Erfahrungen mit Drogen machen, um zu wissen, dass Drogen gefährlich sind.“

Wie kann man diesen Einwand entkräften?

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