Zum Ablenkungspotenzial des Internets

Wenn kontrovers über das Ablenkungspotenzial von Smartphones im Unterricht diskutiert wird, hört man häufig folgendes Argument:

„Nun reg Dich nicht so sehr über Smartphones auf, früher haben wir auch heimlich unter der Bank gelesen oder Schiffe-versenken gespielt, wenn uns langweilig war.“

Der Gedanke dahinter ist, dass es auch früher schon uninteressante Stunden gab und dass man schon früher ohne Facebook und WhatsApp Wege fand, um sich abzulenken. Smartphones sind in dieser Argumentationslinie nur die digitale Verlängerung des leeren Blattes, auf dem man einst gelangweilt herumgekritzelt hat: Früher Hangman, heute Facebook. So what?

Was bei dieser Argumentation nach dem Motto „Ich brauche kein Twitter, um mich abzulenken!“ vollkommen übersehen wird, ist Folgendes:

Nehmen wir an, eine Unterrichtsstunde hätte auf einer imaginären Interessantheits-Skala für Björn-Kevin gefühlt 5 von 10 Punkten. Das Hangman-Spiel liegt bei 4/10. Wenn Hangman die Ablenkungs-Alternative für Björn-Kevin ist, bleibt er im Unterricht also dabei. Das Internet liegt jedoch (mindestens) bei 9/10 Punkten. Das heißt: Björn-Kevin verabschiedet sich angesichts dieser verlockenden Alternative gedanklich aus dem Unterricht.

Es geht also nicht darum, dass es einst wie jetzt Möglichkeiten der Ablenkung gab bzw. gibt. Es geht darum, dass eine Unterrichtsstunde heute nicht mehr nur mit einem leeren Blatt Papier oder dem Blick aus dem Fenster konkurrieren muss, sondern mit dem Blick in das Fenster des Prokrastinations- und Ablenkungsparadieses Internet.

Die Berufs-Medien-Euphoriker werden nun sagen: „Prima! Dann muss der Unterricht eben spannender werden als das Internet!“

Doch wenn dieses Argument tatsächlich vorgebracht wird, sollte man sich aus der Diskussion verabschieden und alternativ ein wenig aus dem Fenster sehen, Hangman spielen oder im Netz surfen. Alles andere wäre verschwendete Lebenszeit.

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