Notizen zur Machtstruktur des Web-Kommentars

Kommentare sind ein wesentliches Element des Mitmach-Webs: Wenn Online-Texte nicht nur gelesen, sondern auch kommentiert werden können, verwandeln sich vormals passive Konsument(inn)en in aktive Produzent(inn)en: Kommentieren heißt partizipieren.

Die These, die im Folgenden begründet werden soll, mutet vor diesem Hintergrund paradox an. Sie lautet: 

Die primäre Funktion des Web-Kommentars besteht nicht darin, Partizipation zu ermöglichen, sondern hierarchische Machtstrukturen zu etablieren und zu festigen: Kommentare führen nicht zu einer echten Ermächtigung der Rezipient(inn)en, sondern tragen regelmäßig zu ihrer Ohnmacht bei.

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Tur-Tur-Empirie. Oder: die diskursive Instrumentalisierung von Pseudo-Wissenschaft

Unter der Überschrift „Virtuelles Pubquiz: (k)ein Kahoot! mit Mehrwert“ haben Höfler, Strasser, Buchner und Weißenböck einen Aufsatz verfasst, in dem „das virtuelle Pubquiz  als methodisch-didaktisches Format vorgestellt [wird]“ (Höfler et al. 2020, S. 1).

Der Text ist vor allem wegen seiner Argumentationsstrategie interessant:

Zunächst wird die vielfach geäußerte didaktisch-methodische Kritik an Quiz-Formaten als bloß subjektive Meinungsäußerung diskreditiert, die emotional gefärbt ist und bestenfalls anekdotische Evidenz besitzt (vgl. ebd., S. 10-11). Dann werden internationale empirische Untersuchungen mit unterschiedlichen Forschungsinteressen als wissenschaftlicher Gegenpol zu dieser fragwürdigen Subjektivität aufgebaut (vgl. ebd., S. 11).

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Didaktische Schieberegler. Oder: (Distanz-)Lernen und pädagogische Antinomien

Gemeinsam mit Philippe Wampfler und Wanda Klee habe ich im Auftrag des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes NRW sechs Hinweise zum Distanzlernen verfasst. 

(Abb. 1: Kurzform der Hinweise zum Distanzlernen. Screenshot)

Die sprachliche Gestaltung dieser Hinweise spiegelt sehr bewusst eine antinomische Struktur wider, die ganz allgemein für pädagogische Prozesse charakteristisch ist. Kant hat sie in seiner Schrift  „Über Pädagogik” (1803, S. 32) in folgende Frage gekleidet:

„Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?”

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„5G Corona“. Oder: algorithmische Isosthenie

Am 26.05.2020 wurde ein Tweet von Donald Trump, in dem es um potenziellen Wahlbetrug bei Briefwahlen ging, von Twitter durch einen Faktencheck ergänzt: „Get the facts about mail-in ballots“.

Wer dieser Einladung folgt, findet u.a. eine sorgsam kuratierte Liste von Quellen, die Belege dafür liefern, dass Trump unhaltbare Behauptungen aufstellt. Die Kontroverse zwischen Trump (A) und Twitter (B) lässt sich stark verkürzt und formalisiert wiefolgt darstellen:

  • A behauptet: p 
  • B behauptet: nicht-p.

Neben der sympathetischen Zirkularität, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich A und B wechselseitig versichern, wie großartig sie einander finden, ist die kritische Konfrontation von p und nicht-p eines der kommunikativen Grundmuster im Netz. Es weist nicht zufällig Ähnlichkeiten mit dem  Isosthenie-Prinzip der pyrrhonischen Skepsis auf (vgl. hierzu Hossenfelder 1985, S. 42ff. und Gabriel 2013, S. 210ff.). 

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Warum Skinner-Apps nicht als Einstieg in die Arbeit mit digitalen Medien taugen

Um den Einsatz didaktisch problematischer Skinner-Formate wie LearningApps, LearningSnacks, Kahoot etc. zu rechtfertigen, wird häufig folgendes Argument vorgetragen:

Skinner-Formate erlauben einen einfachen Einstieg in die Arbeit mit digitalen Medien. Gerade Kolleg(inn)en, die im Umgang mit digitalen Medien unerfahren sind, sich aber neugierig auf den Weg machen möchten, brauchen einfache Einstiege. Also ist es für diese Kolleg(inn)en legitim, Skinner-Formate zu nutzen.

In der Konsequenz wird dann denjenigen, die Skinner-Formate aus didaktischen Gründen ablehnen, vorgeworfen, unerfahrenen Kolleg(inn)en den Zugang zur Arbeit mit digitalen Medien im Unterricht unnötig zu erschweren.

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Die Trivialisierung der Pädagogik

Folgt man der Sprechakttheorie, gibt es für unterschiedliche Sprechakt-Typen (z.B. behaupten, versprechen, auffordern, grüßen) unterschiedliche konstitutive Regeln. Nur dann, wenn diese Regeln befolgt werden, gelingt der jeweilige Sprechakt (vgl. hierzu ausführlich: Searle, John: Sprechakte. 4. Auflage. Ffm.: Suhrkamp 1990, Kapitel 3).

Um es an einigen Beispielen zu verdeutlichen:

Zu den konstitutiven Regeln einer Aufforderung A gehört, dass sich A auf eine zukünftige Handlung H einer Person P bezieht: Wenn P aufgefordert wird, H in der Vergangenheit zu tun („Björn-Kevin, räume gestern dein Zimmer auf!“), misslingt der Sprechakt.

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Schafkopf, Philologenverband und Opa Hoppenstedt

Am 27.12.2018 gelang dem Bayerischen Philologenverband – sehr wahrscheinlich unbeabsichtigt – ein erstaunlicher PR-Coup:

Von Mainpost über Mittelbayerische, BILD, Süddeutsche und WELT bis zum SPIEGEL berichteten zahlreiche Zeitungen und Magazine über den ernst gemeinten Vorschlag, das Kartenspiel Schafkopf auf den Stundenplan zu setzen.

Schafkopf stehe in den stürmischen Zeiten der Globalisierung für eine Rückbesinnung auf Heimat und Tradition und sei ein Abbild der Vielfalt und Einheit Bayerns, ließ der Verband verlauten. Selbst wider die lästige Digitalisierung könne man mit Schafkopf ein analoges Zeichen setzen, denn schließlich müsse man beim Kartenspielen in der realen Welt miteinander kommunizieren und das sei „das glatte Gegenteil wie bei einem Computerspiel.“ (sic!)

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Vokabeln lernen mit VR/AR

Heute stieß ich bei Twitter auf eine Reihe von Tweets, in denen die Möglichkeiten des Sprachenlernens durch Mixed Reality-Anwendungen (VR, AR) ausgelotet werden.

In einem der Lern-Szenarien führen “Berührungen” einzelner Bestandteile eines Hauses beispielsweise dazu, dass entsprechende Vokabeln (“das Haus”, “der Flur” etc.) angezeigt werden. Auf diese Weise lässt sich in einem virtuellen Rundgang erkunden, welche Wörter bzw. Vokabeln mit welchen Gegenständen oder Räumen verknüpft sind.

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