Am 27.12.2018 gelang dem Bayerischen Philologenverband – sehr wahrscheinlich unbeabsichtigt – ein erstaunlicher PR-Coup:
Von Mainpost über Mittelbayerische, BILD, Süddeutsche und WELT bis zum SPIEGEL berichteten zahlreiche Zeitungen und Magazine über den ernst gemeinten Vorschlag, das Kartenspiel Schafkopf auf den Stundenplan zu setzen.
Schafkopf stehe in den stürmischen Zeiten der Globalisierung für eine Rückbesinnung auf Heimat und Tradition und sei ein Abbild der Vielfalt und Einheit Bayerns, ließ der Verband verlauten. Selbst wider die lästige Digitalisierung könne man mit Schafkopf ein analoges Zeichen setzen, denn schließlich müsse man beim Kartenspielen in der realen Welt miteinander kommunizieren und das sei „das glatte Gegenteil wie bei einem Computerspiel.“ (sic!)
Neben dem Kultusminister, der sich über die schulische Würdigung eines wichtigen Teils bayerischer Kultur freute, stimmte auch der Augsburger Schulpädagoge Klaus Zierer in die Eloge ein: Der Bildungsgehalt des Schafkopfens sei nicht hoch genug einzuschätzen, unter anderem könne man mit dem Kartenspiel mathematische, soziale und strategische Kompetenzen stärken.
Wenn man bedenkt, wie der gesellschaftliche Diskurs über den notwendigen Wandel des komplexen Schulsystems momentan verläuft, ist man geneigt, das Schafkopf-Intermezzo einfach als lauten Schrei nach Aufmerksamkeit abzutun und nicht weiter zu beachten.
Leider liegen die Dinge komplizierter.
Denn die Pressemeldung des Bayerischen Philologenverbandes ist Ausdruck einer – im Wortsinn – konservativen Bewegung, deren Einfluss größer zu werden scheint: Anstatt konstruktiv darüber nachzudenken, wie (oder: ob!) die Schule integraler Bestandteil der Kultur der Digitalität werden kann, gelten hier die Prinzipien der romantisierenden Rückbesinnung (I), des digitalen Dualismus (II) und der pädagogischen Beruhigung (III).
(I) Romantisiert wird die gute alte Zeit, in der Schüler(innen) noch Bücher gelesen, sich von Angesicht zu Angesicht unterhalten, im Wald gespielt, Telefonnummern auswendig gekonnt und auf dem Schulhof laut herumgetollt haben.
(II) Vertrieben wurden wir aus diesem paradiesischen Zustand durch den virtuellen Mahlstrom des Internets, dieser digitalen Schein- und Parallelwelt, in der es weder echte Beziehungen noch wirkliche Kommunikation gibt und die aus agil-selbstbewussten Jungen und Mädchen willenlose und süchtige Smombies macht, die nur noch app-bestimmt auf ihre Handys starren.
(III) Auf (I) und (II) wird mit einer pädagogischen Beruhigungsoffensive geantwortet. Man hört Grundsätze wie „Pädagogik vor Technik“, man erfährt, dass digitale Medien nur dann einen legitimen Platz im Unterricht beanspruchen können, wenn sie einen „Mehrwert“ besitzen, und dass Smartphones und Tablets auch nur Werkzeuge seien, mit denen man den Unterricht – wie mit Stift und Papier – stützen könne. Überhaupt bleibe Lernen immer Lernen, daran ändere auch die Digitalisierung nichts. Außerdem zeige die empirische Bildungsforschung, dass Digitales viel weniger nützlich sei, als man gemeinhin hoffe.
Wer das alles glaubt, der braucht sich vor den neuen Medien nicht zu fürchten und kann entspannt bzw. pädagogisch sediert Schafkopf spielen. Mit der Kultur der Digitalität mögen sich, bitte schön, die naiven Digi-Evangelisten auseinandersetzen.
Der hier bewusst zugespitzt skizzierten konservativen Bewegung hat der SPIEGEL ONLINE auf subtile Weise ein Gesicht gegeben. Dort konnte man folgende Überschrift lesen:

Die Dachzeile „Früher war mehr Kartenspiel“ ist natürlich eine Anspielung auf Loriots klassische Weihnachts-Episode. Hier ruft der tatterige und schwerhörige Opa Hoppenstedt leitmotivisch „Früher war mehr Lametta!“, um seine Unzufriedenheit mit dem Hier und Jetzt auszudrücken und sich dann beim Klange des Helenenmarsches den Erinnerungen an bessere Zeiten hinzugeben.
Schafkopf ist das neue Lametta. Wir sollten aufpassen, dass wir uns nicht an Opa Hoppenstedt orientieren, wenn es um die Gestaltung der Schule des 21. Jahrhunderts geht.